Katinka fühlt sich von den Menschen missverstanden und oftmals sogar gequält. Niemand scheint sie auf Dauer behalten zu wollen und die bildschöne Hannoveranerstute muss sich immer wieder an neue Menschen und Reitställe gewöhnen. Sie sehnt sich nach Beständigkeit.
Doch dann trifft sie auf Jessi und plötzlich werden Katinka - zum ersten Mal in ihrem Leben - Liebe, Wertschätzung und Verständnis entgegengebracht. Langsam öffnet sich die Stute dem jungen Mädchen und offenbart ihr, was all die Jahre niemand sehen wollte.
Damit auch andere Menschen die Pferdeseele besser verstehen, erzählt Katinka ihre Geschichte.

 

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Nach dem letzten unschönen Reiterlebnis kehrte plötzlich Ruhe in meinem Leben ein. Karin hörte nämlich einfach damit auf, mich zu reiten und war auch sonst sehr selten bei mir.
Stattdessen kam hin und wieder ein kleines Mädchen, um mich zu putzen und zu streicheln. Ich kannte sie nicht so gut, allerdings hatte ich sie schon häufig zusammen mit Karin im Stall gesehen. Sie zählte für mich zu den wenigen Menschen, die ich mochte, denn sie tat nie etwas Grobes oder verlangte Dinge von mir, die ich nicht wollte. Mit der Zeit realisierte ich, dass sie auf den Name Lola hörte.
So konnte das Leben meiner Meinung nach gern weitergehen. Doch leider sollte es das nicht, denn an einem warmen, aber windigen Tag wurde ich wieder einmal aus meiner Box geholt und an den Platz mit den vielen Pfosten gebracht. An diesem Ort wurde ich immer angebunden und zum Reiten vorbereitet. Ich wusste also schon, was mir blühte.
Skeptisch beobachtete ich Lola dabei, wie sie mich mit diversen Putzdingern ausgiebig säuberte. Entspannen konnte ich dabei aber nicht. Von dem kleinen Mädchen ging eine Unruhe aus, die sich umgehend auf mich übertrug. Es machte die Situation nicht wirklich besser. Als dann auch noch Karin um die Ecke bog und sich schräg vor mich stellte, wurde ich endgültig nervös. Ihre Ausstrahlung hatte etwas Bedrohliches. Unruhig scharrte ich mit den Hufen.
»Na, kleine Schwester, wie läuft’s?«
»Wie soll es denn laufen? Ich habe ja gerade erst mit dem Putzen angefangen«, antwortete Lola mit leiser Stimme, ganz im Gegensatz zu Karin, deren Worte wie immer laut und unangenehm in meinen Ohren nachhallten.
»Renate ist gleich hier. Dann geben wir das Beruhigungsmittel und du kannst anfangen, sie zu satteln. Die Leute, die sich Katinka anschauen wollen, sind in etwa einer Stunde da. Ich hoffe, wir dosieren das Zeug richtig. Es soll ja nicht auffallen, dass wir sie ruhiggestellt haben. Aber ich will natürlich auch nicht, dass Katinka heute dieselben Zicken macht wie sonst immer bei mir.«
»Meinst du nicht, die merken das?«
»Ach was, Lola. Solange wir nicht zuviel von dem Mittel geben und Katinka im Laufen einschläft, wird das schon keiner merken.«
»Ich halte davon immer noch nicht viel.«
»Ich weiß, aber es ist ja auch nicht dein Pferd – und meins nach diesem Tag hoffentlich auch nicht mehr.«
© Marie-Therese Goldmann