Unter dem Zuckerguss sprichwörtlicher Gemütlichkeit gärt in den Tiefen der Metropole Wien – im Labyrinth uralter, geheimer Katakomben – die jahrhundertealte, bis in die Gegenwart wirkende Fäulnis eines infamen Verbrechens …
Katrina, Sekretärin eines Anwaltsbüros, privat voller Hingabe dem Kopieren historischer Archivdokumente verfallen, wird zu ihrem Entsetzen nun als Zeugin eines grauenvollen Blutbades von den Mördern verfolgt.
Allmählich dämmert ihr, dass sowohl die Bluttat, als auch die gezielte Jagd auf sie, in dunklen Machenschaften einer längst vergangenen Epoche Wiens gründen – festgehalten auf einem ahnungslos kopierten Pergament.
Unter Lebensgefahr beginnt Katrina zu recherchieren …

 

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Endlich. Es ist so weit. Trotz des Regens, der unsere Welt in düsteres Licht taucht, brachte ich das wertvolle Papier unbeschadet in mein Haus. Jetzt liegt es vor mir auf dem Tisch. Verschiedene Federn, Tinten und Papiersorten vervollständigen das Bild. Es ist wichtig, dass ich eine ähnliche Papierstruktur finde, nur so ist es möglich, die Linien korrekt zu schreiben. Die Feder braucht denselben Untergrund. Zart begin- nen meine Finger über das Papier des Originals zu streichen. Immer wieder, immer in anderer Richtung: Die Fasern fühlen, die Dichtheit der Pressung des Blattes. Unebenheiten und Glätten spüren.
Es ist schwer, sehr schwer, das passende Papier zu finden. Erst nach vielen Gegenproben entdecke ich ein Blatt, das dem Dokument ähnlich scheint.
Noch weiß ich nicht, welches Geheimnis diese geschriebenen Zeilen verbergen. Die Schrift ist sehr schwer lesbar, teils etwas verblasst. Nur wenn ich den Text mit der gleichen Handschrift schreiben kann, kann ich auch erkennen, welche Worte der Verfasser hier für die Ewigkeit hinterließ. Die zweite Aufgabe besteht darin, die richtige Feder zu finden. Die passende Tinte zu erwischen, ist nicht schwer, das sehe ich bereits mit einem Blick. Mit der Zeit entwickelt man einfach ein Gefühl dafür und kann die feinen Nuancenunterschiede sehen. Doch die Feder – das ist schwerer. Hier ist der Unterschied nicht so leicht merkbar. Es kommt auch sehr auf den ausgeübten Druck beim Schreiben an, die Haltung des Griffes und vieles mehr. Hier bleibt nur der Versuch mit verschiedenen Modellen.
Heute ist es eine sehr heikle Arbeit, die meine volle Konzentration erfordert. Ich besitze nur einen einzigen Bogen des feinen, alten Papiers. Es darf kein Fehler passieren.
Mit leicht zitternder Hand tauche ich die erste Feder in die Tinte, versuche – auf einfachem Papier – die feinen Linien des ersten Wortes zu kopieren. Möchte es verstehen, möchte die Bedeutung kennen. Doch die Feder passt nicht. Der Strich ist zu breit, zu wenig zierlich. Also versuche ich eine schmälere. Es braucht mehrere Anläufe mit verschiedensten Federn, bis ich endlich das richtige Werkzeug in Händen halte.
Der für mich interessanteste Augenblick meiner Arbeit kann beginnen. Um meiner Hand die richtige Federführung für diese Worte zu lehren, schreibe ich die erste Zeile mehrmals. Immer wieder, bis ich die einzelnen Buchstaben entziffere, die Schrift zügig schreibe und verstehe, was mit den Worten gemeint ist.
Jetzt tauche ich ein in die Person, die damals dieses Dokument verfasste. Fühle denselben Druck auf mir, dieselbe Anspannung. Lebe mit den Worten, die meine Feder auf das Papier zaubert. Die Angst davor, dass ich das Papier durch einen Fehler zerstöre, ist verschwunden. Ich schreibe einfach weiter und nehme die Worte in mir auf. Während des Schreibens fließen die Worte. Es handelt sich um einen Vertrag über ein Familien- wohnrecht. So wie es sich beschreibt, sehr zum Nachteil des Grundbesitzers, der unter ziemlichem Druck gestanden haben muss. Dies ist eindeutig für mich erkennbar, da die Schrift ab der Mitte des Dokumentes ein wenig zittriger wird, die Feder – fester aufgedrückt – die Buchstaben fast eingravierte in das Blatt.
Ich tauche in die damalige Zeit ein. Sehe die düstere Schreibstube, nur beleuchtet durch eine schwache Gaslampe. Schwarz gekleidete Menschen stehen drohend hinter dem Schreiber. Zwingen ihn, seinen Grund und Boden mit dieser Urkunde voll- kommen zu entwerten.
Traurig. Ja, manchmal entstanden die Urkunden, die ich abschreibe, nicht aus freiem Willen.
Fertig. Alles kopiert und abgeschrieben. Ich lege die beiden Blätter nebeneinander. Betrachte sie von allen Seiten. Gute Arbeit. Sehr gute Arbeit. Zwar ist an manchen Stellen ein kleiner Unterschied zu sehen, aber nur, wenn man wirklich sehr genau vergleicht. Irgendwann schaffe ich es sicher, die Schriftbilder perfekt zu kopieren.
Das Original verstaue ich wieder in dem Kuvert, es muss morgen wieder an seinen Platz. Die Kopie lege ich in meine Holzschatulle, wohlversorgt gehüllt in Seidenpapier. Es mögen wohl bereits mehrere hundert solcher Kopien in ihr sein. Allesamt Schicksale dieser Stadt, die Pergament und Tinte vertraglich verewigt hat.
© Karin Pfolz

 

Auszug