„I bin do ned dement!“ Für die immer lebenslustige und humorvolle Tante Elfie ist es absolut nicht einzusehen, dass sie plötzlich Hilfe im täglichen Leben brauchen soll. Sie liebt attraktive Männer, ihren Lippenstift und den Grünen Veltliner. Dass sie mittlerweile recht wunderlich geworden ist, bemerkt sie nicht.
Als letzte noch verbliebene Blutsverwandte verbringt ihre Großnichte im Laufe von einigen Jahren unzählige Stunden an der Seite der Tante Elfie; in guten, wie in schlechten Zeiten.
Humorvoll erzählt die Autorin über ihre manchmal skurrilen Erlebnisse mit der Tante und deren Demenzerkrankung und gibt dabei humorvolle Einblicke in ein langes und erfülltes Leben.

 

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Die vermaledeite E-Card
Ich hätte gerne gewusst, ob man von den Katalogen und Zeitschriften, die sich auf dem Fußboden stapeln, nicht schon jetzt etwas wegwerfen könnte. Zu meiner Überraschung hat die Tante nichts dagegen und ich beginne umgehend, uralte Reisekataloge, Werbung und Monate alte Kronenzeitungen in große, schwarze Säcke zu stopfen. Einen Teil davon werde ich mitnehmen, wenn ich gehe, den Rest soll Elena, am kommenden Montag entsorgen. Die Zeit vergeht wie im Flug und nach ein paar Stunden mache ich mich mitsamt zwei von fünf schwarzen Säcken auf den Heimweg.
Später am Abend fällt mir ein, dass ich schon wieder vergessen habe, der Tante E-Card und Führerschein zu geben. Das ist insofern blöd, als ich weiß, dass sie am Montag um 9:20 Uhr einen Termin bei ihrem Augenarzt zwecks Kontrolluntersuchung hat. Da wird sie zumindest die E-Card brauchen. Mit dem Gedanken, dass ich morgen, am Samstag, noch einmal zur Tante fahren darf, schlafe ich an diesem Tag völlig erledigt ein.
Bereits um 7:20 Uhr reißt mich das Klingeln des Telefons aus dem Schlaf.
»Du host no mei E-Card eing’steckt!«, fällt die Tante gleich mit der Tür ins Haus und ich muss mich erst einen Moment sammeln.
»Ja, ich weiß, ich hab’ vergessen, sie dir zu geben.«
»I muass oba jetzt zum Augenoarzt!«
»Nein, du musst am Montag um neun zum Augenarzt!«
»Jo, genau!«
»Aber heute ist erst Samstag!«
»Wos? Heit is Saumstog? Und i woart die gaunze Zeit auf die Elena, dass die mit mia geht. Do kaunn i laung woart’n!«
Ich verspreche der Tante, dass ich im Laufe des Vormittages kurz vorbeikomme und ihr die E-Card ganz verlässlich bringen werde, damit sie diese am Montag zur Verfügung hat.
Als ich zwanzig Minuten später beim Frühstückskaffee sitze, ruft die Tante schon wieder an und will wissen, wann genau ich denn kommen werde. Wir vereinbaren einen fixen Zeitpunkt, damit die arme Seele ihren Frieden hat, und außerdem baue ich schon einmal vor, dass ich abgesehen davon, dass ich ihr E-Card und Führerschein brächte, keine Zeit für einen längeren Besuch hätte,
mich also nur ganz kurz bei ihr aufhalten würde. Zwei Minuten nach elf Uhr klingle ich bei der Tante.
»I woit scho auruafen. I hob ma gedocht, du host vergess’n.«
Wie könnte ich? Ich übergebe ihr die Dokumente mit den Worten: »Weißt eh, ich kann nicht bleiben. Ich wollte dir die Sachen nur vorbei bringen, damit du sie am Montag für den Augenarzt hast.«
Von wegen Dokumente abgeben und schnell wieder auf und davon. Ich muss kurz hereinkommen und der Tante zuzusehen, wie sie ihren Terminkalender ausgiebig studiert. Danach werden fein säuberlich mein Besuch und die Abgabe der Dokumente verzeichnet. Wenn wir schon dabei sind, fixieren wir gleich einen Termin für nächste Woche, bei welchem wir Papiere schlichten, aussortieren und vernichten werden. Jetzt schicke ich mich aber ernsthaft zum Gehen an.
»Ah, bleibst ned no a bissl do?«
Plötzlich beginnt die Tante, mir alte Eintragungen aus dem Terminkalender vorzulesen. Als wir den Februar und somit die Eintragung der heurigen Opernballübertragung erreichen, rettet mich das Klingeln der Schwester Margarete, die kommt, um der Tante die Augen einzutropfen. Also nutze ich die Gunst der Stunde und entwische, wissend, dass ich schon am Dienstag wieder da sein werde, um Ablage zu machen.
Als ich am Dienstag eintreffe, ist die Tante völlig aufgelöst und sucht etwas.
»Host du mei E-Card no?«
Jetzt suchen wir beide nach der abermals verschollenen Karte. Ich versuche, mit der Tante den Ablauf des Arztbesuches zu rekapitulieren, was aber so gut wie unmöglich ist. Vielleicht hat ja die Elena die Karte eingesteckt? Also rufe ich an.
»Jaja, E-Card hob i no!«, finden wir schließlich heraus.
Da die Tante diese Woche noch unbedingt zu ihrer Hausärztin gehen möchte, braucht sie die Karte wirklich ganz dringend und ich vereinbare mit der Elena, dass ich sie in einer Stunde bei der Schnellbahn in Hetzendorf treffen und die vermaledeite E-Card wieder an mich nehmen werde, um sie dann der Tante unverzüglich wieder nach Hause zu bringen.
Mittlerweile ist der Tante die Lust zum Ablagemachen vergangen. Sie ist vor lauter Aufregung müde geworden und will nur sitzen und ein bisserl tratschen. Also plaudern wir über dies und das
und die Tante erzählt mir, dass sie dringend ein ›Kleines Schwarzes‹ bräuchte. Ich sollte doch mit ihr einmal auf die Meidlinger Hauptstraße fahren.
»Aha. Wozu brauchst du denn ein ›Kleines Schwarzes‹?«
»Naujo, damit is ma immer guat aunzog’n, wurscht wo ma hingeht.«
Ich schweige kurz und grüble, wohin die Tante im ›Kleinen Schwarzen‹ gehen möchte, und erwarte die skurrilsten Ideen.
»Auf a Begräbnis zum Beispiel.«, setzt sie meinen Gedankengang ein jähes Ende.
Nun ist es an der Zeit, mich in Richtung Schnellbahn und zum Treffpunkt mit Elena aufzumachen.
»Wo gehst denn hin?«, fragt die Tante ganz überrascht. »Ahso? Die Elena hot mei E-Card? Des hob i goar ned g’wusst!« Wie gut, dass ich es weiß, und weil die Zeit schon drängt, mache ich mich schnell aus dem Staub. Natürlich nicht, ohne der Tante noch einmal erklärt zu haben, dass ich in ungefähr fünfzehn Minuten wieder da sei, um ihr die E-Card zu bringen.
»Is guat! Und danke!«, verabschiedet sie mich.
»Nau geh, die Elena hot mei E-Card g’hobt?«, höre ich, als ich nach knapp zwanzig Minuten wieder da bin. »Und i suach die gaunze Zeit, wia deppert!« Ich stelle fest, dass die Tante in den letzten zwanzig Minuten alle Stöße auf dem Schreibtisch und auf dem Esstisch durcheinandergebracht hat. Überdies liegen im Vorzimmer mindestens fünf Handtaschen herum, in denen sie offensichtlich auch gesucht hat. Langsam mache ich mir ernsthafte Sorgen, wie das weitergehen soll. Wir stecken die heimgekehrte E-Card an ihren angestammten Platz in der Geldbörse der Tante, und langsam beruhigt sie sich.
»Heast, wie’s do ausschaut …! Mia miassat’n dringend amoi die Ablage moch’n!«, stellt sie fest, als sie sich im Wohnzimmer umsieht. Ich stimme ihr zu, verschweige aber, dass ich deswegen heute gekommen bin. Sie kann sich sowieso nicht mehr daran erinnern. Ich will mich am Freitag bei ihr melden und dann machen wir uns erneut einen Termin aus. Als ich irgendwann gehen möchte, fällt der Tante noch etwas Wichtiges ein.
»Stö da vua, mei E-Card woar verschwunden und i hob den gaunz’n Tog g’suacht, weu i brauch’s jo für die Frau Doktor. Dabei hot’s die Elena eing’steckt g’hobt!« …
© Karina Moebius