Hein Brummer ist ein Seemann. Einer, der gerne Seemannsgarn spinnt. Er erzählt von Abenteuern, dass sich die Balken biegen: vom Klabautermann, dem Meereskönig Neptun und natürlich von seiner Haifischfreundin Jette. Wusstet ihr, dass ein Haifisch gerne Rum trinkt? Nicht zu vergessen die Begegnung mit dem Klabautermann, dem Hein Brummer bei seiner ersten Reise als Schiffsmaat begegnet.

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Klabautermann
Vor langer, langer Zeit, damals, als die Schiffe noch aus Holz waren und keine Motoren hatten, da glaubten die Seeleute an den Klabautermann.  Das war ein Schiffsgeist, der den Matrosen lauter dumme Streiche spielte. Wenn die Seeleute dann an Land kamen, erzählten sie die haarsträubendsten Geschichten von den Streichen des Kobolds. Das nannte man dann: Der Matrose spinnt Seemannsgarn.  Das heißt so viel wie — alles gelogen. 
Einer der schlimmsten Spinner dieses Seemannsgarns, war der Leichtmatrose Hein Brummer. Hein konnte so was von lügen, dass sich die Balken bogen. Wo immer Hein an Land kam, da wurde er schon erwartet, denn die Leute liebten seine Geschichten. Sie liefen zusammen und dann begann Hein zu erzählen:
„Ahoi, Jungs und Deerns, dann berichte ich euch mal, was sich bei meiner ersten Reise zugetragen hat. Ich heuerte auf dem Segelschoner Brigitte an, ein stolzes Schiff mit drei Masten. Damals war ich noch ein junger Spunt von vierzehn Jahren.  Mein Vater war Seemann, und ich wollte unbedingt auch zur See fahren. Mutter hatte zwar etwas dagegen, aber Vater und ich setzten uns durch. Und so fand ich mich dann am 2. Mai um 6 Uhr im Hamburger Hafen ein und ging an Bord der Brigitte. Etwas mulmig war mir schon zumute, aber – ich bin kein Feigling.  Der Kapitän, ein großer breitschultriger Mann, mit einem schwarzen strubbeligen Bart und Augen, die streng auf mich herunterschauten, erwartete mich schon. „So, so“, sagte er, „du willst also ein Matrose werden? Aber zuerst wirst du als Schiffsjunge anfangen und was ein Schiffsjunge zu tun hat, das wird dir Jan, der Leichtmatrose erklären. Wir legen gleich ab und wenn du deinen Leuten noch mal zuwinken willst, dann mache das jetzt. Du wirst sie ein paar Monate nicht sehen.“ Damit drehte er sich um und stiefelte davon. Da stand ich nun an der Reling, Vater und Mutter unten am Kai winkten mit ihren weißen Taschentüchern.  Jemand tippte auf meine Schulter, und ich drehte meinen Kopf zur Seite. Da stand ein schmaler junger Mann mit blonden Haaren, die ihm wie Spaghetti vom Kopf abstanden.  „Ahoi, Hein! Ich bin der Jan, und ich zeig‘ dir, was du zu tun hast, und ich rate dir, das gewissenhaft zu erledigen, denn der erste Maat ist ein scharfer Hund, der lässt dich Kielholen, wenn du nicht spurst.“ Von diesem Brauch hatte ich schon gehört und nicht selten haben die Seeleute eine solche Prozedur nicht überlebt. Nun bekam ich doch ein bisschen Angst, aber dann sah ich, dass Jan lachte. „Nee, mach dir mal keinen Kopf, ich habe dich im Nacken. Wir verstehen uns alle gut, und der Schiffsjunge hat hier sogar so was wie Narrenfreiheit. Nur den Bogen nicht überspannen.“
Mir fiel ein ganzes Korallenriff vom Herzen und dann bekam ich meine Aufgaben: Eine davon – außer Deck schrubben und Kajüten aufräumen – war, dass ich jeden Abend nach Sonnenuntergang im Bug des Schiffes, da wo die Taue und solche Utensilien gebunkert wurden, die zur Seefahrt dazu gehörten, eine Schüssel mit Milch und ein paar Leckereien aus der Kombüse hinstellen musste. Der erste Maat hatte mir das aufgetragen, dass sei für den Klabautermann, denn wenn er auf ein Schiff käme, wo nichts zum Essen für ihn bereitstehe, dann würde er vor lauter Wut ein Leck in den Schiffsrumpf beißen. Der Kahn sei dann dem Untergang geweiht und nicht ein Seemann, vom Kapitän bis zum Schiffsjungen, würde es überleben.  Vom Klabautermann hatte ich schon gehört, von meinem Vater, der hatte ihn sogar schon einmal gesehen.
Wir waren nun schon drei Wochen auf hoher See, und unsere Reise sollte nach Amerika gehen. Jeden Abend stellte ich für den Klabautermann das Essen hin, und eines Tages wollte ich doch einmal sehen, wie denn der Klabautermann ausschaute.  Ich legte mich, in einer dicken Taurolle versteckt, auf die Lauer und hatte das Essen immer im Blick. Es wurde Nacht, und dann war ich doch tatsächlich eingeschlafen. Gegen Morgen, es war noch dunkel, weckte mich ein Geräusch, das aus Richtung der Einstiegsluke kam. Ich war sofort hellwach und dann sah ich ihn – den Klabautermann. 
Er war ja gar nicht groß, er war – um genau zu sein – recht klein. Sein Gesicht war gegerbt von der Seeluft und seine wasserhellen Augen zeugten sowohl von Klug- als auch Selbstsicherheit. Der Hut auf seinem Kopf war schwarz, mit einem breiten Rand. Die Kleidung war die eines Seemannes, mit blauen Hosen und einem weißen Hemd, darüber eine braune Weste und eine blaue Jacke. Der Klabautermann hockte sich auf einen umgedrehten Eimer und blickte scheinbar nur auf das Essen. Plötzlich sagte er: „Komm raus, Hein, ich weiß, dass du da in der dicken Taurolle sitzt.“ Langsam erhob ich mich und schaute den kleinen Mann ohne Angst an.  Damit hatte der wohl nicht gerechnet, denn er brummte: „Nun komm schon her! Du schaust wie damals dein Vater. Aber du brauchst erst gar nicht zu versuchen, mich einzufangen, denn das würde dir, genau wie deinem Vater, schlecht bekommen.“ Davon hatte mein Vater nicht ein Wort gesagt. Nun wollte ich diese Geschichte vom Klabautermann hören. Der aber winkte ab und meinte, dass sei nichts Besonderes gewesen. Mein Vater habe ihn unter einem Eimer fangen wollen und er habe daraufhin meinen Erzeuger ein bisschen verprügelt. „Du? Du hast meinen Vater verhauen? Du bist doch viel zu klein, mein Papa ist 1,90 Meter groß und wiegt 102 Kilo. Du misst nicht mal ein halben Meter und bist zudem leicht wie eine Feder. Gib mal nicht so an, kleiner Mann“, sagte ich lachend.
Oh, oh! Das hätte ich besser nicht gesagt. Der Klabautermann wurde größer und größer und größer. Er wuchs, bis er mit dem Kopf an die Decke stieß. Plötzlich hielt er einen Tampen, das ist ein Tauende, mit einem Knoten, in der rechten Hand und schlug sich damit auf die linke Handfläche. Dabei rollte er mit den Augen, die mit einem Mal feuerrot geworden waren. Dann packte er mich am Kragen, hob mich hoch, als wäre ich leicht wie eine Feder, hielt mich genau vor seine große Nase und sagte: „Ich könnte dich jetzt mit einem Atemzug in die See hinauspusten. Aber weil du noch so jung bist und keine Ahnung hast von der christlichen Seefahrt, werde ich noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen und dich verschonen. Aber wage es nie wieder, etwas anzuzweifeln, was ich sage.“ Mir war ganz furchtbar schlecht geworden, und ich schwor ihm bei allen Heiligen, dass ich nie wieder an seinen Worten zweifeln wollte. Er ließ mich aus, und ich stürmte wie von tausend Teufeln gehetzt die Leiter hoch, durch die Luke und rauf aufs Oberdeck. Dort rannte ich dem ersten Maat direkt in die Arme. „Na, na, wohin so schnell, und was machst du in der Nacht im Zeugraum?“ Ich stotterte etwas von Klabautermann und riesengroß – verhauen – und dass ich weg müsse. Dann riss ich mich los und verschwand in meiner Koje, zog die Decke über den Kopf und zitterte wie Espenlaub.  Das der Maat ganz furchtbar lachte, bekam ich gar nicht mit. Am Morgen, als wir zusammen beim Frühstück  saßen, lachten sie alle über mich, und ich saß da mit hochrotem Kopf und schämte mich. 
Auf dem Rest der Reise, stellte ich zwar das Essen für den Klabautermann in den Zeugraum aber sehen wollte ich ihn nicht mehr, wie ihr euch vorstellen könnt.
Das war nun meine erste Reise als Schiffsjunge auf der Dreimastbark Brigitte. Beim nächsten Mal erzähl ich euch die Geschichte, wie ich den Riesenkraken in der Südsee bezwungen habe.
Bis dahin Hein Brummer“
© Renate Anna Becker