„Pferde wurden in den weiten Steppen der urzeitlichen Welt durch den Menschen gejagt. Umso erstaunlicher, dass diese auf Flucht spezialisierten Huftiere die Nähe des ehemaligen Jägers nicht nur zulassen, ja sogar suchen – und mit dem früheren Feind tiefe Bindungen eingehen können.
Diese faszinierende Verbindung höchst zerbrechlicher Natur machte der Mensch sich im Verlauf der Jahrtausende in vielerlei Hinsicht zunutze.
Ob Rennpferd, Pony, Wildpferd oder Gnadenhofbewohner – illustriert und aus dem Blickwinkel des Vierbeiners erzählt, offenbaren sich hier unterschiedliche Schicksale dieser eleganten und treuen Geschöpfe. Lesenswert für Herzen ab 9 Jahren, die bereits für Pferde schlagen – und insbesondere solche, die es zukünftig werden, denn:
Wo sonst liegt das Glück dieser Erde … wenn nicht auf dem Rücken der Pferde?“

 

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Jumper
Jumper war ein junges, sehr hoffnungsvolles Springpferd-Talent. Sein Besitzer war sehr stolz auf ihn. Er wurde behutsam und gleichzeitig liebevoll darauf vorbereitet, irgendwann einmal im internationalen Springsport Erfolge zu sammeln. Sein Halter hatte die Hoffnung, dass durch die vielleicht gewonnenen Preisgelder der Hof renoviert werden konnte. Dies war auch wirklich dringend nötig. Obwohl es wenig davon gab, wurde alles Geld in Jumper investiert. Eine Risiko, denn keiner konnte wissen, wie er sich entwickelte. Doch das Glück war auf der richtigen Seite. Das erste große Turnier stand an und Jumper gewann. Sein Eigentümer war sehr stolz auf ihn und schmiedete bereits Zukunftspläne.
Doch leider kommt es meistens anders als man denkt, … auch hier. Die Geldprobleme wurden immer massiver und so musste sein Besitzer sich traurigen Herzens von dem Pferd trennen. Nur durch den Verkauf des Tieres konnte der Hof noch gerettet werden. Käufer gab es genug. An den Meistbietenden wurde Jumper schließlich abgegeben.
Für das Pferd allerdings kein so glückliches Los. Er wurde an einen erfolgsverwöhnten Springstall verkauft, bei dem es nicht um das Tier, sondern einzig und allein nur um den Erfolg ging.
So ‚erfolgsorientiert‘ verlief dann auch das Leben des Springpferdes. Es wurde jedes Wochenende von einem zum anderen Turnier gehetzt. Anfangs stellten sich die gewünschten Erfolge ein, es gewann fast immer. Für den neuen Besitzer war Jumper sein Geld wert. Laut wurde mit dem neuen Superpferd geprahlt. Nur, wie es dem Tier dabei ging, wollte keiner wissen.
Sein Alltag bestand nur noch aus Training, Turnieren, Training. Es durfte nicht auf die Wiese, weil es sich dort hätte verletzen können. Ansonsten stand das Pferd im Stall herum und hatte Langeweile. Seinen Stallkollegen ging es genauso. Trotzdem versuchte Jumper immer sein Bestes, um seinen Menschen zufriedenzustellen. Andere Pferde hätten wahrscheinlich schon aufgegeben, doch Jumper hegte die Hoffnung auf ein schönes Leben nach dem Turniersport. Er redete sich immer wieder ein, dass dann noch genug Zeit war, all das Schöne, das ein Pferdeleben bieten konnte, zu genießen.
Die Wettkämpfe kamen und gingen und allmählich machte sich dieses harte Leben ohne Ruhephasen bei Jumper bemerkbar. Die Erfolge wurden weniger, die Kraft und die Ausdauer des Pferdes ließen nach. Nun prahlte der neue Besitzer nicht mehr mit seinem Tier. Im Gegenteil, er meinte, dass das Pferd sein Geld nicht mehr wert sei und er sich beizeiten einen Ersatz für ihn suchen müsste.
Gesagt – getan. Eine Woche später wurde Jumper verkauft. Sein neues Zuhause war nicht viel besser. Auch hier wurde jedes Wochenende ein Turnier aufgesucht, nur waren diese kleiner. Jumper sollte die junge Tochter seines neuen Besitzers an den Springsport heranführen.
Sein Tagesablauf sah hier aber genauso wie vorher aus. Zum Reiten holte man ihn aus dem Stall, danach stellte man ihn ebendort einfach wieder ab, am Wochenende wurden Turniere geritten. Auch hier durfte er nicht auf die Wiese und anders beschäftigt wurde er auch nicht. So trug er das Kind brav und verlässlich Wochenende für Wochenende auf die Turniere und ergab sich seinem Schicksal.
Allerdings war da immer noch dieser kleine Funken Hoffnung … darauf, dass sich sein Leben – irgendwann – einmal ändern würde; und die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.
Dann passierte etwas Unvorhersehbares. Jumper stürzte mit seiner Reiterin auf dem nassen Untergrund. Dem Mädchen passierte nichts, aber Jumpers knickte um und sein Bein wurde sehr schnell dick. Er konnte nicht mehr auftreten. Ohne sich Sorgen um ihn zu machen, wurde er einfach in den Hänger gestellt und nach Hause gebracht. Drei Tage später war das Bein immer noch stark angeschwollen und richtig laufen konnte er nach wie vor nicht. Die Schmerzen waren einfach zu stark. Am vierten Tag kam dann endlich der Tierarzt und stellte fest, dass Jumpers Turnierkarriere vorbei sei. Er würde nur noch als Beistellpferd für die Wiese taugen, denn seine Beine und Gelenke waren durch den harten Sport so beansprucht worden, dass es keine Heilung mehr gab. Zwar ging die Schwellung zurück, aber die Beine waren nicht mehr belastbar.
Über diese Nachricht war der Besitzer nicht begeistert. Schnell wurde nach einem passenden Käufer gesucht, denn schließlich wollte man noch etwas Geld mit diesem Taugenichts von Pferd machen. Es gab kein Dankeschön für Jumpers harte Arbeit. Keiner wollte ihm seinen wohlverdienten Ruhestand gönnen, obwohl er soviel geleistet hatte. All das hatten die Menschen wohl vergessen.
Auf die Schnelle fand sich kein Käufer. Da kam seinem Besitzer die Idee, wie er doch noch Kapital aus dem Pferd schlagen konnte: Wenn sich kein Käufer fand, musste Jumper eben an den Schlachter veräußert werden. ‚Besser man bekommt wenigstens so noch etwas Geld‘, überlegte sich sein Halter. Ohne weiter über das Schicksal des Pferdes nachzudenken, wurde das Pferd zum Schlachter gebracht und dies – man kann es kaum glauben – war sein Glück.
Am gleichen Tag wie Jumper zum Schlachthof gefahren wurde, war auch eine junge Familie dorthin auf dem Weg. Sie hatten gehört, dass der Schlachter einige der Tiere verkaufen wollte.
Der Mann hatte das Herz am rechten Fleck. Er wollte den Vierbeinern so noch eine Möglichkeit einräumen, ihren Lebensabend in Würde zu führen und machte sogar noch ein Geschäft damit. Er verlangte für die Tiere immer etwas mehr Geld, als er bezahlt hatte und so hatten beide etwas davon. Das Tier durfte weiterleben und er machte Gewinn.
Die junge Familie war auf der Suche nach einem Zweitpferd. Ihr altes Pferd war verstorben und nun suchten sie einen neuen Artgenossen für ihren Wallach zu Hause. Er sollte einfach nicht alleine auf der Wiese stehen. Große Anforderungen an ihr neues Tier hatte die Leute nicht. Es sollte soweit gesund sein und lieb im Umgang mit Mensch und Tier. Reitbar musste es nicht mehr sein.
Als sie Jumper sahen und auch noch seine Geschichte hörten, war sofort klar, dass er genau das Pferd war, das sie suchten. Man wurde sich sehr schnell einig und Jumper wurde direkt auf deren Hänger verladen. Langsam verstand er seine Welt überhaupt nicht mehr.
‚Was war denn jetzt los? Können die mich nicht einfach in Ruhe lassen? Habe ich nicht schon genug durchgemacht, irgendwann muss es doch mal vorbei sein …‘, dachte er und der letzte Funken Hoffnung in seinem Kopf schwand.
Nach zwei Stunden Fahrt ging die Hängerklappe dann wieder auf.
‚Wird es jetzt noch schlimmer als vorher?‘, schoss es Jumper durch den Kopf. Er hatte einfach keine Kraft mehr.
Als er aus dem Hänger geführt wurde, wurde er jedoch positiv überrascht: Sie waren auf einem Bauernhof angekommen. Er wurde in ein kleines Gebäude geführt. Hier gab es zwei Boxen. Ängstlich ließ Jumper sich in eine davon führen, unschlüssig, was er davon halten sollte. So etwas hatte er noch nie kennengelernt. Anschließend wurde die Tür an der anderen Seite geöffnet und Jumper erkannte, dass direkt dahinter eine Wiese lag, auf der ein fremdes Pferd weidete. Der Strick wurde von seinem Halfter gelöst und seine neuen Besitzer gaben ihm die Möglichkeit, aus freien Stücken hinaus ins Freie zu gehen.
© Pfolz/Kummer