Die Autorin beschreibt in ihrem autobiografischen Roman das Leben in ihrer Wahlheimat Kalabrien.
Ein Leben geprägt von Zorn, Hass, Verzweiflung, falschen Schuldgefühlen und der Liebe, die alles auszugleichen schien.
Sie zeigt auf, wie gefährlich es sein kann, in einem Land der ´Ndrangheta, in einem Land der Korruption, in einem Land der fast nicht vorhandenen Gesundheitsvorsorge, die sie Aufgrund ihrer HIV-Erkrankung dringend bräuchte, zu leben.
In einer zum Teil ernsten, aber auch heiteren Art, erzählt sie aus ihrem Leben, das den Leser in Atem hält.
Versäumen sie nicht, die Autorin zu begleiten.

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Das Ende meiner Ehe
Im Februar 2017 war es dann so weit. Ich saß morgens am PC und hatte gerade eine Verhandlung mit einer Werbekundin, auf die ich mich konzentrieren musste.
»Häng endlich die Wäsche ab und versorge das Zeug in die Schränke«, sagte mein Mann in einem Ton, der mir schon mal gar nicht gefiel. Wie so oft, reagierte ich einfach nicht darauf. Das veranlasste ihn, die Wäsche beleidigt selbst draußen abzuhängen und auf dem Küchentisch auszubreiten.
»Los jetzt, lass den Scheißcomputer und deine Kunden in Ruhe und kümmere dich um die Wäsche! Außerdem ist es bald zwölf Uhr mittags und die Kinder und ich haben Hunger«, schrie er mich an.
»Geht jetzt nicht, ich bin gerade dabei, Geld für uns zu verdienen«, gab ich genauso wütend zurück.
»Du dummes Dreckstück, du unfähige Hausfrau, du Schlampe, du Rabenmutter …« Und viele weitere italienische Ausdrücke, die ich euch gar nicht alle übersetzen kann, weil es sie schlichtweg in Deutsch nicht gibt, feuerte er mir entgegen. Ihr müsst euch das Bild vorstellen, roter Kopf, funkelnde Augen, wild gestikulierend kam er auf mich zu.
Ich blieb ruhig, darauf konzentriert, den Auftrag mit der Kundin abzuschließen. Das machte ihn so wütend, dass er mich an den Haaren vom Stuhl hochzog. Genau in diesem Moment war bei mir Schluss. Das Maß war voll. Er hatte den Bogen ein für alle Mal überspannt. Ich riss mich los, trat wohl auch instinktiv nach ihm und muss dabei wohl seine ›Weichteile‹ getroffen haben, als er mich wieder an den Haaren packte. Allzu schwer hatte ich ihn aber nicht verletzt, denn er reagierte nur mit einem kurzen Fluchen, bis er sich wieder gefasst hatte.
»Rühr mich nicht an. Ich habe es dir schon einmal gesagt, wenn du mich anrührst, bin ich weg hier!«
Mein Mann schrie, tobte, lachte schließlich hämisch.
»Dann geh doch!« Dann fiel ein Wort von ihm, das für mich das Ende unserer Ehe bedeutete.
»Troia«, ein Wort aus dem kalabrischen Dialekt, was so viel wie dreckige Nutte bedeutet. Er wollte damit sagen, dass ich nichts weiter als eine dreckige Nutte wäre, die sich noch nie um den Haushalt gekümmert und Starallüren hätte.
Für mich brach in diesem Moment eine Welt zusammen, noch nie hatte er mir vorgeworfen, früher eine Prostituierte gewesen zu sein.
Daraufhin sagte ich vor meinen Kindern und so laut, dass man es wohl bis auf die Straße hören konnte: »Du kannst deinen Haushalt in Zukunft alleine machen, allein für dich und die Kinder sorgen. Ich mach das nicht mehr mit. Die dreckige Nutte, die euch alle bisher ernährt hat, die geht jetzt und lebt ab heute ihr eigenes Leben!«
Meine beiden Mädchen und meine zwei Jungen standen da und sagten erst mal kein Wort. Er war immer noch wütend und schleuderte mir weitere Schimpfwörter entgegen. Danach wurde es still, totenstill, in meiner Wohnung. Das Mittagessen fiel aus, Venera bügelte die Wäsche, die immer noch auf dem Tisch lag, und ich ging wieder an den Computer. Der Werbeauftrag, auf den ich gehofft hatte, ging mir durch die Lappen, die Kundin hatte wohl auf mich gewartet, aber war dann nicht mehr online. Im Internet muss es manchmal schnell gehen und wenn jemand Interesse zeigt, muss man den Moment nutzen und darf nicht zulassen, dass das Interesse wieder abnimmt.
An Arbeiten war nicht mehr zu denken, aber ich informierte mich über die Preise für einen Flug nach Deutschland. Eine Verbindung mit Flug und Reisebus, die für mich bezahlbar war, fand ich schnell. Nun musste noch geklärt werden, was meine Kinder wollten und wo ich wohnen sollte. Natürlich erinnerte ich mich an meine Schwester und ihre letzten Worte beim Abschied im September. Ein Telefongespräch mit ihr und eine kurze Beratung ihrerseits mit ihrem Mann führte dazu, dass sie sagte, wenn ich allein kommen würde, wäre ich herzlich willkommen.
Ich sprach mit jedem meiner Kinder einzeln und ihre Antworten waren alle gleichermaßen niederschmetternd: »Mama, du übertreibst, Papa hat das nicht so gemeint, du kennst ihn doch und wir wollen hierbleiben bei ihm, wenn du wirklich gehst!«
Meine älteste verheiratete Tochter verstand mich auch nicht, sondern überhäufte mich mit Vorwürfen, dass ich die Familie nicht verlassen dürfe, und sie schon genug am Hals habe, und nun nicht auch noch für ihre Geschwister und ihren Vater sorgen könne.
Die nächsten drei Tage waren die Hölle, ich versuchte, die Kinder umzustimmen, jedoch ohne Erfolg. Mit Michele sprach ich nicht mehr. Er glaubte wahrscheinlich noch nicht daran, dass ich wirklich reisen würde. Wir gingen uns aus dem Weg. Erst als er sah, dass ich am Tag vor meinem Abschied von Kalabrien meinen Koffer packte und alle Kleidungsstücke, die ich nicht mitnehmen konnte, in einen schwarzen Müllsack steckte, merkte er, dass ich es durchziehen würde. Niemand hatte es mir zugetraut, dass ich ernst machen würde. Beim Mittagessen übergab ich ihm dann alle Papiere für die Kinder, die ich in meinen Unterlagen hatte. Ihre deutschen Reisepässe, die Krankenversicherungskarten für die italienische Versicherung, Impfpässe, Schulzeugnisse, alles, was sie betraf. Ich gab ihm praktisch das Leben meiner Kinder in die Hände, da sie sich für ihn und gegen mich entschieden hatten. Eiskalt nahm er die Papiere an sich, die Kinder schwiegen und aßen weiter.
Dann seine Frage: »Wo wirst du wohnen?« Ich gab ihm keine Antwort darauf. »Gib mir deine Anschrift, denn mir wird nichts anderes übrig bleiben, als die Scheidung einzureichen, um hier Sozialhilfe zu beantragen«, sagte er dann das erste Mal seit dem Streit in einem normalen Tonfall.
Ich war geschockt darüber, wie schnell er schon von Scheidung sprach, ohne den geringsten Versuch, um mich zu kämpfen. Das bestärkte mich aber auch in meiner Vermutung, dass ich ihm nie viel bedeutet haben musste.
»Und du glaubst ernsthaft, dass du sie erhalten wirst, nachdem wir sie schon tausendmal beantragt haben und nie auch nur einen Cent gesehen haben?«, antwortete ich genauso sachlich und ruhig wie er.
»Ich werde dich wohl anzeigen müssen, wegen böswilligen Verlassens, und auf das Sorgerecht für die minderjährigen Kinder bestehen, dann klappt das schon!«, entgegnete er gereizt.
Wieder ein weiterer Beweis, wie gutgläubig und sorglos Kalabreser an schwerwiegende Probleme herangehen. Mir wurde dabei angst und bange, ihm unsere Kinder zu überlassen, aber sie wollten es nicht anders.
»Na, wenn du meinst, dass du damit durchkommst. Hier schreibe ich dir meine Anschrift auf. Ich werde vorübergehend bei meiner Schwester wohnen.«
Von diesem Moment an hatten meine Kinder verstanden, dass ich sie wirklich verlassen werde. Sie sprachen kein Wort mehr mit mir, zeigten mir die kalte Schulter. Er sagte auch nichts mehr zur Sache, wenn er mich überhaupt ansprach, dann nur über das, was unseren Alltag betraf. Am letzten Morgen dann, die Kinder waren in der Schule, erlebte ich meinen Mann, wie ich ihn noch nie zuvor erlebt hatte.
'© Daggi Geiselmann